Metal Music Studies. Oder: Was kümmert den Metalhead die Wissenschaft, was kümmert der Metalhead die Wissenschaft?

Nachdem ich selbst seit 2015 für das hier besuchte Webzine stahlharte Beiträge und Rezensionen schreibe, im Brotberuf aber Wissenschaftler bin, also Metalhead und Kulturhistoriker in einer Person, habe ich meinem Herrn Chefredakteur die Idee vorgetragen, ein kurzes Feature zur Forschung zu schreiben, die sich um Heavy Metal dreht. Das ist nun wohl gar nicht so abstrus, wie es auf den ersten Moment klingt.

Besonders seit dem Jahr 2014 gibt es nicht nur im Mainstream der Popkultur ein immer stärkeres Vordringen der Hartwurstfraktion, auch die Wissenschaft, vor allem die Sozial- und Kulturwissenschaften (Geschichte, Soziologie, Musikwissenschaft, Anthropologie, Sprachwissenschaft, Philosophie usw.) haben unsere Mucke als Thema entdeckt. Der Herr Chefredakteur hat die Idee des Features, dadurch überzeugt, für gut befunden. Also: Here we go!

Wenn man sich dem Themenbereich „Metal und Wissenschaft“, oder „Wissenschaft und Metal“, annähert, fällt zuerst ein so wohl nicht ganz zu erwartender Aspekt auf: Er besteht darin, dass es vor allem seit dem genannten Jahr 2014 in der Wissenschaft eine sehr breite, primär kulturwissenschaftlich geführte Debatte zu Heavy Metal gibt.

Dies gipfelte darin, dass seit der zweiten Jahreshälfte dieses für die einschlägige Forschung entscheidenden Jahres eine eigene Fachzeitschrift, herausgegeben vom britischen Professor an der Universität Leeds Karl Spracklen, erscheint. Und mit der Betitelung kommen wir zu des Pudels Kern, der die Bedeutung der Zeitschrift, für uns als Metalheads und für die Wissenschaft, auszeichnet. Das Fachblatt nennt sich „Metal Music Studies“ und sieht so aus:

Copyright: Intellect Books; Quelle: https://twitter.com/intellectbooks/status/595514659177943041, abgefragt am 25. September 2016.

Dass man nun der Musik der harten Schule in der breiten Diskussion der Wissenschaften, die in der Wahrnehmung der Otto-Normal-Metalheads für bürgerlichen Mief, Spießertum und kleinkarierte Erbsenzählerei steht, eine eigene Zeitschrift widmet, mag auf den ersten Blick nur verwundern. Richtig interessant wird es für den Metalhead aber, wenn man bedenkt, was der Hintergrund dessen ist.

Die Zeitschrift heisst „Metal Music Studies“, wird von einem weltweit vernetzten Kreis von ForscherInnen geschrieben. Dh. für Otto-Normal-MetallerIn nicht weniger, als dass ihre oder seine geliebte Mucke, die bisher doch für Rebellion und Anderssein, dem krassen Gegenteil des Spießertums stand, in genau jene Kultusphäre des bürgerlichen Miefs der Wissenschaft vorgedrungen ist.

Wenn man noch dazu bedenkt, dass die Zeitschrift „Metal Music Studies“ als Titel wählt, also ausdrücken willl, dass man in der Forschung eine ganz neue Richtung von Heavy-Metal-Studien zu begründen denkt  kann dem oldschooligen Metaller (für den alles, das nach Number Of The Beast erschien, eh Kacke ist) Angst und Bange werden – nämlich um seine geliebte popkulturelle Identität als Freizeitrebell und Anti-Spießer, die er beim Moshen am Konzert auslebt.

Kurz: Mit der Etablierung der Zeitschrift, genauso wie alle anderen Veröffentlichungen von Büchern einschlägigen Tagungen (siehe eine kurze Auswahl unten zum Weiterlesen) wird die Frage, was die Wissenschaft den Metalhead angeht, hochrelevant. Sie bedeutet nämlich nichts weniger als ein Symptom dessen, dass Metal in den Mainstream vorrückt.

Wir können das so zusammenfassen, dass die  Begründung der Heavy-Metal-Studien als eigener Forschungsrichtung nur die Oberflächenerscheinung der „Verbürgerlichung“, vielleicht sogar der „Verspießbürgerlichung“ von Metal ist. Und das ist nun eine Frage, die wohl keinen Metalhead kalt lässt. Sie oder er kann daher die Forschung zur geliebten Mucke als kleine Handreichung zur Erkundung neuer Orientierung in Kultur und Gesellschaft sehen.

Damit haben wir aber noch nicht den zweiten Teil meiner Titelfrage berührt, nämlich, was der Metalhead die Wissenschaft kümmert. Und da ist zu bemerken, dass die Wissenschaft, gerade in den Metal Music Studies den Metalhead nicht nur sehr ernst nimmt, nämlich in der Regel als EnzyklopädInnen mit bestem Fachwissen, sondern, dass die Identität der Metalheads zentral für die Debatten im Umfeld der Zeitschrift selbst sind und noch stärker werden wird.

Erstens, sind viele der beitragenden WissenschafterInnen (inklusive Herausgeber Karl Spracklen) selbst Metalheads (dies ist auch eine Frage der jetzt schon langen Geschichte von Metal selbst, sodass MetallerInnen heute im Berufsleben schon fortgeschritten sein können); zweitens, und das ist wichtiger, werden die Anliegen der Metal-Kultur in die Wissenschaft selbst hineingetragen.

Wir können damit das Aufleben der Wissenschaft zur Metallmucke, die Frage, was der Metalhead die Wissenschaft kümmert, so zusammenfassen, dass  mit dieser Debatte Heavy Metal einen Angriff auf den „Elfenbeinturm“ des Wissenschaftsmiefs vornimmt. Und das finde ich sehr gut!

PS: Um mein Argument zu untermauern, dass es zu einer immer stärkeren Überkreuzung von Mainstream und Metal, gerade seit 2014 kommt, möchte ich nur darauf hinweisen, dass die Oberspießer-Schlagervogelscheuche Heino mit Schwarz blüht der Enzian gerade im Dezember 2014 ein „Metal“-Album veröffentlichte. Das ist die dunkle Seite des Mondes, wo schreckliche Kreaturen lauern.

Eine kleine Auswahl an Texten zum Weiterlesen:

Bartosch, Roman (Hg.): Heavy Metal Studies. Bd. 1: Lyrics und Intertextualität. Oberhausen 2011.

Bukszpan, Daniel: The Encyclopedia of Heavy Metal. New York 2012.

Elflein, Dietmar: Schwermetallanalysen. Zur musikalischen Sprache des Heavy Metal. Bielefeld 2010.

Kahn-Harris, Keith: Extreme Metal. Music and Culture on the Edge. Oxford 2007.

LeVine, Mark: Heavy Metal Islam. Rock, Resistance, and the Struggle for the Soul of Islam. New York 2008.

Nohr, Rolf F,/Schwaab, Herbert (Hg.): Metal Matters. Heavy Metal als Kultur und Welt. Berlin u.a. 2011.

Pichler, Peter: Stahl. Wissenschaftliches Blog zur Kulturgeschichte harter Musik. www.peter-pichler-stahl.at, abgefragt am 25. September 2016.

Spracklen, Karl (Hg.): Metal Music Studies. Bristol u.a. 2014ff.

Wallach, Jeremy u.a. (Hg.): Metal Rules the Globe. Heavy Metal Music Around the World. Durham 2012.

dr.peda
dr.pedahttps://www.metalunderground.at
Heavy Metal am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen.

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