Die finnische Band GRAVETAKER legt mit „Sheer Lunacy“ ihr Debüt vor – formal ein Demo, faktisch jedoch der erste ernsthafte Kontakt mit der Außenwelt. Sie präsentieren sich bewusst kryptisch: „Laute Klänge aus Finnland und darüber hinaus.“ Allein die Herkunft als finnische Metalband reicht jedoch aus, um diesem ersten Lebenszeichen ein gewisses Maß an Erwartung mitzugeben.
Akustischer Auftakt, rohe Aggression und stilistische Vielschichtigkeit
Der Einstieg erfolgt überraschend ruhig: Melodische Akustikgitarren eröffnen „Black Sepulchres“ mit einem langen, sensiblen Vorspiel. Fein, zurückhaltend, beinahe zart – ein Kontrast, der abrupt gebrochen wird, sobald das eigentliche Stück einsetzt. Dissonant, roh, im mittleren Tempo gehalten, verdichtet sich der Sound zu einer kompakten Wand. Verzweifelte Vocals dominieren, im Refrain von der restlichen Band echohaft verstärkt, was dem Song zusätzliche Dramatik verleiht. Ein starker Opener: aggressiv, technisch und überzeugend komponiert.
GRAVETAKER wurden laut ihrem offiziellen Bandcamp-Profil 2014 gegründet. Mangels weiterer offizieller Informationen bleibt nur diese Angabe – was angesichts der offensichtlichen musikalischen Reife überrascht. Elf Jahre bis zur ersten Veröffentlichung erscheinen ungewöhnlich lang für eine Band dieses Niveaus. Aus Oulu stammend, bestehen GRAVETAKER aus Lunatik (Gitarre, Bass) und Atavistic Mouth (Vocals, Gitarre, Keyboards) – zwei Musiker, deren Fähigkeiten hier unüberhörbar sind.
„Threshold“ folgt mit leicht veränderter Ausrichtung: rhythmischer, melodischer, zugleich von einer anderen Form von Wut geprägt. Unterdrückend, aber dynamisch, wechseln sich langsamere Passagen mit explosiven Ausbrüchen ab. Die Vocals sind von Bosheit, Leidenschaft und Aggression durchzogen. Ein hektisches, rasendes Gitarrensolo, eine markante Basslinie und schrille Lead-Gitarren erzeugen starke Kontraste. Ein sehr überzeugender Track.
Lo-fi-Produktion, strukturelle Vielfalt und technische Ambitionen
Die Produktion ist roh, klar lo-fi, teils matschig und rauschend, mit wenig instrumentaler Trennschärfe. Stimmen und Lead-Gitarre stehen deutlich im Vordergrund, während Details im Hintergrund oft im dichten Klangbild verschwinden. Die Drums fungieren meist als rhythmischer Impulsgeber ohne große Präsenz. Für ein Demo ist das erwartbar – dennoch bleibt genug Transparenz, um Struktur und Ausdruck der Musik erfassbar zu machen.
Mit „Bacchic Enthusiasm“ setzt sich der klangliche Angriff fort, stärker im Black Metal verankert, mit verändertem Tempo und komplexerer Struktur. Gequälte Lead-Gitarren prägen den Eindruck, doch trotz der Aggressivität bleibt die Komposition klar nachvollziehbar. Ein langsamer, atmosphärischer Mittelteil erweitert das Klangspektrum und unterstreicht den breiten Ansatz der Band. Technisch wie kompositorisch ein beeindruckendes Stück, introspektiver im Ton, ohne an Intensität zu verlieren.
„Aberrations“ greift erneut auf Akustikgitarren zurück: melodisch, melancholisch, technisch versiert und sensibel gespielt. Erwartungsgemäß kippt das Stück bald in Aggression und Lärm. Wütende, bellende Vocals treffen auf ein solides Rhythmusfundament. Stilistisch öffnet sich der Song in Richtung Doom/Death, mit präsenterem Bass und klarer wahrnehmbaren Drums. Dissonant, disharmonisch, aber musikalisch interessant umgesetzt.
Der Abschluss „Revelation“ folgt dem etablierten Muster: langsamer, akustischer Beginn, melodisch getragen, von versiertem Schlagzeug begleitet. Der anschließende Ausbruch ist chaotisch und lärmend, bevor die Gitarren allmählich Struktur und Rhythmus herstellen. Schreie und treibende Riffs verweisen auf Thrash-Einflüsse, kombiniert mit einer deutlich punkigen Haltung. Trotz der stilistischen Vielfalt bleibt auch dieser Song schlüssig und reich an markanten Passagen.
Rohes Debüt mit klarer Ausrichtung und erkennbarem Potenzial
Der Zugang zu Demos neuer Bands erlaubt einen Blick auf den Ursprung musikalischer Entwicklung. Motivation, Energie und der Wille zu überzeugen stehen im Vordergrund – und im Fall von GRAVETAKER gelingt das. „Sheer Lunacy“ ist kein kurzes Statement, sondern erreicht mit seiner Laufzeit beinahe Albumlänge. Die Songs sind ausgearbeitet, vollständig, und trotz des rohen Sounds wird das musikalische Niveau deutlich hörbar.
Die Band nennt Darkthrone als prägenden Einfluss und formuliert den Anspruch, sich an den „ambitious and obscure roots of death metal“ zu orientieren. Für eine Band am Anfang ihres Weges ist das eine klare Zielsetzung – und „Sheer Lunacy“ schlägt diese Richtung überzeugend ein. Ein vielversprechendes Debüt, das mit besserer Produktion künftig noch stärker wirken dürfte.
Fazit: „Sheer Lunacy“ ist ein wütendes, technisch versiertes Debüt von GRAVETAKER, das trotz roher Produktion durch starke Kompositionen und klare musikalische Vision überzeugt.
Tracklist
01. Black Sepulchres
02. Threshold
03. Bacchic Enthusiasm
04. Aberrations
05. Revelation
Besetzung
Lunatik – Guitars, Bass
Atavistic Mouth – Vocals, Guitars, Keyboards

