Die Band IM HERBST UNSERER KINDHEIT wurde 2020 von Tobias Serfling als Solo-Projekt ins Leben gerufen – und ist bis heute ein solches geblieben. Serfling übernimmt sowohl den Gesang als auch sämtliche Instrumente. Szenekundigen ist er als T.S. aus anderen Projekten wie Nachtfalter, Ad-hoC oder Jasmund bekannt – früher war er auch bei Bloody Passion und Mortal Intention aktiv.
Das aus Thüringen stammende Projekt hat bereits zwei Alben in Eigenregie veröffentlicht – Horizont (2021) und Tobsucht (2022) – und konnte sich damit in der Szene einen Namen machen. Stilistisch lässt sich IM HERBST UNSERER KINDHEIT als Avantgarde Black Metal einordnen – oder, wie Tobias selbst es nennt: „kreativ zeitloser Black Metal“, was seine Offenheit für Experimente und ungewöhnliche Klanglandschaften unterstreicht.
Die enge Zusammenarbeit mit Künstler*innen, die sich für Albumcover und Videoclips verantwortlich zeichnen, spiegelt diesen eigenwilligen Zugang zur Musik wider. Die Schlagworte „poetisch – künstlerisch – ästhetisch“, die Tobias für sein Werk verwendet, treffen den Kern.
Mit dem neuen Album – dem ersten mit englischen Texten – öffnet sich IM HERBST UNSERER KINDHEIT einem breiteren Publikum.
Musikalisch erwartet uns eine symphonische Mischung aus klassischen Black-Metal-Elementen und komplexer Experimentierfreude.
Der Opener „The Art of Continuous Development“ startet symphonisch, mit Tremolo-Gitarren und einer dichten Atmosphäre. Was wie ein klassischer Black-Metal-Song beginnt, entfaltet sich schnell zu einem kunstvollen Hybrid. Der Gesang wechselt zwischen rasenden Schreien und fast klarem, aber zornigem Sprechgesang. Die orchestralen Elemente bleiben stets präsent im Hintergrund und verleihen der Komposition Tiefe. „Lamentation“ legt den Fokus noch stärker auf Atmosphäre und Experiment. Paganes Instrumentarium und Percussion-Elemente schaffen eine fremdartige, fast transzendente Klanglandschaft. Auch der Gesang bleibt vielseitig und ausdrucksstark. Technisch äußerst versiert umgesetzt – ein Höhepunkt des Albums.
„Condemned to Hate“ beginnt aggressiver, ein Stück näher an klassischem Black Metal: peitschende Drums, harsche Vocals und flirrende Gitarren. Die düstere Stimmung wird durch hohe Schreie kontrastiert. Der Refrain, gesprochen und eher schlicht gehalten, hinterlässt ein mulmiges Gefühl. Kompositorisch bleibt die Nummer im pagan durchwirkten Rahmen des Albums, ist aber eine der schnellsten – und auch verstörendsten – des gesamten Werks.
Mit „The Creative Destruction“ wird eine typische Black-Metal-Struktur durch gezielte Dekonstruktion in einen kalten, experimentellen Klangraum überführt. Tief hallende Orchestrierung trifft auf geisterhafte Vocals. „A Timeless Vault“ beginnt mit einem zarten Chor, der im Kontrast zu den rauen Riffs steht. Kratzige Gitarren und heisere Vocals verbinden sich zu einer düsteren Atmosphäre. Erst langsam und einfach gehalten, kippt der Song zur Mitte hin in eine kakophonische, doomige Passage. Trotz oder gerade wegen der Kontraste ein weiterer Höhepunkt.
Wie der Titel schon andeutet, ist „In Darkness“ ein düsteres, bedrückendes Stück. Aus einfachen Rhythmen entwickelt sich ein chaotischer Klangkosmos – verzerrte Gitarren, gebrüllte Lyrics, eisige Kälte.
„No Suffer“ setzt das langsamere Tempo fort, das zuvor etabliert wurde. Eine symphonische Passage eröffnet eine unheimliche, fast gothisch anmutende Atmosphäre. Die gesprochenen Verse erinnern an Gothic Metal, während infernalische Schreie nur punktuell auftauchen. Black Metal schimmert hier eher in den Riffs durch. Eine auffällige Komposition mit vielen starken Momenten. „The Sorrow of All Ends“ beschließt das Album. Summende Gitarren legen sich über einen fragilen Chor. Der Song ist kurz, wirkt wie ein Outro – und verdichtet in seiner Trostlosigkeit die gesamte Atmosphäre des Albums.
Die Verbindung aus Avantgarde-Ansätzen und traditionellen Elementen macht dieses Album zu einem verstörenden und zugleich faszinierenden Hörerlebnis.
Die Produktion ist bewusst unkonventionell und zeigt klar die avantgardistische Ader des Projekts. Der Umgang mit den Instrumenten erzeugt überraschende Klangfarben: matschige Gitarren, dominante Bässe, teils überlaute Drums, mal klare, mal zurückgenommene Percussion. Der Drum-Mix nimmt dem sonst so vielschichtigen Sound mitunter etwas Raum. Lo-Fi trifft auf Hochglanz – ein infernales, chaotisches Klangbild. Die Texte kreisen um die Dekonstruktion menschlicher Strukturen – und das auf teils eindringliche Weise.
Die Vocals tragen das Album, technisch variantenreich, vielleicht manchmal zu sehr im Vordergrund. Die gelegentlich eingesetzten Gothic-Anleihen wirken etwas fremd. Zwischen all dem finden sich immer wieder brillante Momente – einprägsame Riffs, schöne melodische Ideen – doch sie gehen oft im komplexen Klanggeflecht unter.
Stilistisch liegt das Album wohl näher an symphonischem Black Metal, zeigt aber ein hohes Maß an Experimentierfreude. Angenehm ist das Hörerlebnis selten – soll es auch nicht sein. Es ist verstörend und bedrückend, aber in seinem künstlerischen Ausdruck faszinierend.
Fazit: Ein künstlerisches Statement, das traditionelle und experimentelle Elemente gleichermaßen in sich vereint.
Tracklist
01. The Art of continuous development
02. Lamentation
03. Condemned to hate
04. The creative destruction
05. A timeless vault
06. In darkness
07. No suffer
08. The sorrow of all ends
Besetzung
Tobias Serfling – vocals/all instruments