Die junge Schweizer Band VÍGLJÓS präsentiert nach ihrem erfolgreichen Debüt vor einem Jahr bereits ihr zweites Full-Length-Album Tome II – Ignis Sacer, erneut ein Konzeptwerk – und wohl noch stärker als der Vorgänger.
Rohes Black Metal mit Folk-Einflüssen
Ein von Folklore beeinflusstes Intro eröffnet das Album: „Sowing“ ist ein kurzes Stück, gespielt auf dem Mellotron, begleitet von traditionellen Instrumenten, das den Hörer atmosphärisch einstimmt. Danach legt „A Seed of Aberration“ los und bringt den Black Metal in voller Härte: roh, aggressiv, mit markerschütternden Schreien und einem soliden instrumentalen Fundament. Unverkennbar tief im Old School Black Metal verwurzelt, trägt der Song Rhythmus und Wucht, während die gequälten Vocals eine verstörende Dimension hinzufügen. Eindrucksvoll komponiert und umgesetzt – ein starker Auftakt und sofort ein Highlight.
Langsamer und introspektiver zeigt sich „The Rot“, bei dem zunächst die Gitarren im Vordergrund stehen, bis die infernalischen Vocals einsetzen und das Bild vervollständigen. Beklemmend, niederschmetternd, verstörend – und gerade deshalb so wirkungsvoll. Die einfache, repetitive Melodieführung entfaltet eine bedrückende Wucht und verleiht dem Song eine traurige, fast mystische Atmosphäre. Ein Paradebeispiel, wie solche Stücke klingen sollten.
Dynamische und ausgewogene Songs
Der Name Vígljós, altnordisch für „das Licht, das hell genug ist, um einen Mann zu töten“, passt zur Musik der 2022 in Basel gegründeten Band. Die Mitglieder stammen aus Deutschland und der Schweiz: J am Schlagzeug, L (Luca Piazzalonga) am Gesang, N an der Gitarre und Aorrta am Mellotron.
„Claviceps“ bringt neue Dynamik und Kraft ins Spiel. Wieder ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Gesang und Gitarre, doch diesmal steuern auch die Drums einen treibenden, schnellen Rhythmus bei, während das Mellotron zurückhaltend Akzente setzt. Im Vergleich dazu wirkt „Delusions of Grandeur“ melodischer und strukturell noch ausgereifter. Groove-Passagen wechseln sich mit minimalistischen, beinahe ambienten Momenten ab, bevor die Aggressivität erneut die Oberhand gewinnt. Die Spannung steigert sich bis zu einem stark verzerrten Finale – sehr abwechslungsreich, erneut ein starkes Stück.
Mischung aus Verzerrung und Melodik
Wenn das erste Album Tome I: Apidæ thematisch den Bienen gewidmet war, so dreht sich das Konzept diesmal um den Prozess von Aussaat und Ernte. „Ignis sacer“, lateinisch für „heiliges Feuer“, war ein Begriff der Antike und des Mittelalters für verschiedene brennende Krankheiten und wurde später mit Mutterkornvergiftung durch kontaminierten Roggen in Verbindung gebracht.
„Decadency and Degeneration“ knüpft mit einem fast rock’n’rollartigen Gitarrenrhythmus an, der durch die extremen Vocals und ein tremoliertes Leadspiel bald in eine massive Soundwand überführt wird. Die Art, wie VÍGLJÓS zwischen Genres und Einflüssen jonglieren und dabei doch unverkennbar Black Metal bleiben, ist beeindruckend. Verzerrt, abrasiv und zugleich melodisch und fesselnd – hier zeigt sich ihr kompositorisches Können besonders deutlich.
Beklemmend und bedrückend
Die Produktion ist roh, fast lo-fi, und verleiht der Musik genau jene Atmosphäre, die sie braucht. Der Gesang bleibt verhältnismäßig klar verständlich und transportiert den passenden, gequälten Ausdruck alter Black-Metal-Schule. Doch es ist das Zusammenspiel mit den Instrumenten, das den Gesamteindruck abrundet: Gitarren liefern mal Melodie, mal Aggression, das Schlagzeug sorgt für Struktur und Energie, und das Mellotron setzt mal dezente, mal prägnante Akzente. Ein in sich stimmiges, geschlossenes Klangbild.
„Harvest“ verändert die Stimmung mit kalten Gitarrenklängen und einer anderen Art von Folkelementen, eher heidnisch geprägt. Heulende, geisterhafte Vocals treffen hier auf eine fast melancholische Melodie, bei der Synths und Gitarre ineinandergreifen. Ein schlichtes, aber wirkungsvolles Stück, das schließlich mit Vogelgesang und einer beinahe positiven Note ausklingt. Das abschließende „Fallow – A New Cycle Begins“ ist ein langsames, introspektives Outro, bei dem das Mellotron in den Vordergrund tritt und einen bleibenden Eindruck hinterlässt.
Einzigartige Klanglandschaft
Eine kluge Verbindung von rohem Black Metal und folkloristischen Elementen, mit einem authentischen, zugleich aber frischen Klang. Jeder Song überzeugt für sich, doch als Ganzes wirkt Tome II – Ignis Sacer noch stärker – ein bemerkenswertes Werk, das alles mitbringt, was man von einem großartigen Album erwartet, und den Hörer von Anfang bis Ende fesselt.
VÍGLJÓS schaffen eine unverwechselbare Klanglandschaft – der Beweis, dass Black Metal noch immer neue Türen öffnen und unbekannte Facetten offenbaren kann. Auch wenn die Band zahlreiche Einflüsse nennt, gelingt es ihr, diese zu einem eigenständigen Sound zu verschmelzen. Besonders beeindruckend ist die Leichtigkeit, mit der sie Stilwechsel vollziehen, ohne die melodische Linie aus den Augen zu verlieren. Ein Konzeptalbum lyrisch schlüssig umzusetzen, ist zusätzlich eine beachtliche Leistung. Anspruchsvoll, reif und zugleich frisch – eine Band, von der man noch viel erwarten darf, die aber schon jetzt ein starkes Statement setzt. Pflichtstoff.
Fazit: Ein bemerkenswertes Album von VÍGLJÓS – Tome II – Ignis Sacer ist ein faszinierendes Werk voller Melodien, Kontraste und Tiefe.
P.S.: Nicht vergessen – VÍGLJÓS gehören zu den Bands des kommenden Vienna Metal Meeting.
Tracklist
01. Sowing
02. A Seed of Aberration
03. The Rot
04. Claviceps
05. Delusions of Grandeur
06. Decadency and Degeneration
07. Harvest
08. Fallow – A New Cycle Begins
Besetzung
J – Drums
L – Vocals
N – Guitars
Aorrta – Mellotron