2025 brachte eine große Anzahl starker Veröffentlichungen hervor, von denen viele bereits frühzeitig auf Metalunderground besprochen wurden. Einige Alben jedoch blieben – aus unterschiedlichen Gründen – ohne Review. Zum Jahresende greifen wir diese Veröffentlichungen noch auf. Diese Retro-Reviews verstehen sich nicht als Korrektur, sondern als Ergänzung: Alben, die inhaltlich, stilistisch oder innerhalb ihres jeweiligen Genres Gewicht haben und das musikalische Profil des Jahres entscheidend mitgeprägt haben.
DEAFHEAVEN haben mit ihrem neuen Album „Lonely People With Power“ eine Veröffentlichung vorgelegt, der zunächst viel Skepsis entgegenschlug. Nach den stilistischen Verschiebungen der letzten Alben galten sie für viele langjährige Hörer als Band, die sich zu weit von ihren Wurzeln entfernt hatte. Entsprechend verhalten waren die Erwartungen. Umso überraschender fiel die Reaktion aus, als sich schnell eine breite Zustimmung abzeichnete und vielfach zu hören war: DEAFHEAVEN sind zurück. Und tatsächlich knüpft die Band hier wieder an ihre stärkste Phase an.
Rückbesinnung auf den prägenden Sound
Nach den ambienten, klagenden Klängen von „Incidental I“ setzt „Doberman“ ein und führt unmittelbar zurück zum klassischen DEAFHEAVEN-Sound, der die Band einst bekannt und beliebt gemacht hat. Shoegaze ist weiterhin präsent, jedoch deutlich stärker im Blackgaze verankert. Die Instrumentierung ist aggressiv, die Vocals scharf, schrill und von klassischem Black-Metal-Ausdruck geprägt. Dichte Soundflächen, gute Riffs und eine insgesamt sehr kompakte Atmosphäre sorgen trotz der starken Melancholie für einen kraftvollen Einstieg. Ein früher Höhepunkt des Albums.
DEAFHEAVEN stammen aus San Francisco, Kalifornien, und wurden 2010 als experimentelles Projekt gegründet. Die Band entstand aus der musikalischen Vision von Kerry Dylan McCoy an der Gitarre und Sänger George Clarke. Mit ihrem eigenständigen Ansatz erregten sie rasch Aufmerksamkeit, erste Veröffentlichungen folgten. In den darauffolgenden Jahren wurde das Line-up mit Daniel Tracy am Schlagzeug, Shiv Mehra als zweitem Gitarristen und Chris Johnson am Bass komplettiert.
Mit dem zweiten Album „Sunbather“ gelang DEAFHEAVEN schließlich der internationale Durchbruch. Die Platte erhielt Anerkennung weit über die Metalszene hinaus und wurde vielfach als eines der besten Alben des Jahres 2013 bezeichnet. Bis heute gilt sie als eines der prägenden Werke unabhängiger Musik. „New Bermuda“ setzte diesen Weg fort und festigte den Status der Band, bevor spätere Alben eine schrittweise Abkehr vom charakteristischen Sound einleiteten. Spätestens mit „Infinite Granite“ wurden sämtliche metallischen Elemente vollständig ausgeklammert.
„Magnolia“ knüpft nun wieder an aggressivere Strukturen an. Der Song arbeitet mit guten Riffs und einer dichten Klangwand, bewegt sich teilweise in Richtung Alternative Metal, bleibt jedoch von einer melancholischen Grundstimmung geprägt. Weniger melodisch, direkter und leicht aggressiver, mit einer Leadgitarre, die einen melodischen Hintergrund webt, während der Rest der Instrumentierung dissonanter bleibt. Die Screams wirken überzeugend und verleihen dem Stück eine Nähe zum atmosphärischen Black Metal. Ein Track, der die härtere Seite der Band betont.
Atmosphärische Ruhe und emotionale Übergänge
„The Garden Route“ beginnt mit einer distanzierten, emotionalen Gitarrenlinie. Akustisch geprägt und langsamer im Tempo bleibt der Song auch dann ruhig, wenn er klanglich dichter wird. Post-Metal-Anleihen sind hier deutlich erkennbar, der Fokus liegt auf Atmosphäre und Emotionalität. „Heathen“ setzt diesen Ansatz fort, arbeitet mit klaren Vocals und verbindet auf überzeugende Weise die unterschiedlichen Phasen der Band. Insgesamt zeigt sich hier die leichtere, zugänglichere Seite von DEAFHEAVEN.
Nach einer längeren instrumentalen Einleitung mit akustischen Gitarren und sehr feiner Melodik entwickelt sich „Amethyst“ zu einem dramatischen Stück. Gesprochene Passagen verstärken die emotionale Wirkung, bevor der Song in eine aggressive, aber weiterhin melodische Struktur übergeht. „Incidental II“ eröffnet mit verzerrten Effekten und der Stimme von Jae Matthews (Boy Harsher). Ihre nahezu gesprochenen Vocals stehen zunächst im Kontrast zu den verzerrten Gitarren, bevor ein kurzer a-cappella-Moment in eine nahezu chaotische, lärmende Explosion mündet. Der Song greift die cinematische Idee des Openers wieder auf und erweitert sie um dissonante Elemente.
Die Produktion präsentiert sich äußerst professionell und fängt sowohl Atmosphäre als auch Aggression sehr präzise ein. Härtere Passagen wirken roh und direkt, während melodische Leads klar hervortreten. Die Vocals nehmen eine zentrale Rolle ein und bestimmen maßgeblich die emotionale Ausrichtung der Songs, sei es melancholisch, verzweifelt oder wütend.
Radikale Ausbrüche und stilistische Kontraste
„Revelator“ markiert die Rückkehr zu einer besonders aggressiven Klangsprache und zählt zu den radikalsten Stücken des Albums. Stilistisch ist der Song einer der deutlichsten Verweise auf frühe DEAFHEAVEN. Die Komposition verbindet unterschiedliche Elemente, kulminiert jedoch in einem extremen Bruch mit beinahe stillen Passagen. Die künstlerische Absicht ist klar, wirkt jedoch sehr drastisch. Ohne diesen Einschnitt wäre der Song eines der stärksten Highlights des Albums.
„Body Behavior“ schlägt anschließend einen anderen Weg ein. Post-Metal trifft hier auf Blackgaze, begleitet von verhallten Vocals und Gitarren. Die Atmosphäre ist vergleichsweise positiv, getragen von einem groovenden Rhythmus, ohne die melancholische Grundstimmung vollständig aufzugeben. „Incidental III“ fungiert als Zwischenspiel, atmosphärisch dicht, jedoch stärker auf Stimmung als auf musikalische Entwicklung fokussiert. Der Gastbeitrag von Paul Banks unterstreicht den cineastischen Charakter, bleibt aber eher ergänzend.
„Winona“ führt zurück zu einer weniger experimentellen, introspektiven Klangsprache. Der Song baut sich schrittweise auf, wächst von minimalistischen Passagen zu einer massiven, aggressiven Klangwand. Die Komposition ist komplex, mit häufigen Wechseln in Rhythmus und Melodik, bleibt dabei jedoch klar in ihrer Identität. Die Vocals treten stellenweise zurück und lassen den Soundflächen und Dissonanzen mehr Raum. Ein weiterer Höhepunkt. „The Marvelous Orange Tree“ beschließt das Album mit einer melancholischen, traurigen Atmosphäre. Zerrissene Screams wechseln sich mit klaren, fragilen Vocals ab und sorgen für einen emotionalen Abschluss.
Geschlossene Dramaturgie und Rückkehr zur Stärke
Mit einer Laufzeit von etwas mehr als einer Stunde präsentiert sich „Lonely People With Power“ als langes, intensives Album, das durchgehend auf hohem Niveau agiert. Trotz klarer stilistischer Wechsel bleibt der Ansatz geschlossen und kohärent. Zerbrechliche Momente stehen neben aggressiven Ausbrüchen, verträumte Passagen neben wütender Verzweiflung. Kontemplativ, stellenweise introspektiv, letztlich jedoch kathartisch.
Nach der stilistischen Abkehr der letzten Jahre kehren DEAFHEAVEN mit „Lonely People With Power“ spürbar energiegeladener und entschlossener zurück. Die Band findet zu ihrer früheren Stärke und musikalischen Ausdruckskraft zurück. Ein Album, das sich selbstbewusst neben den besten Veröffentlichungen der Band einreiht. Eine lange erwartete Rückkehr – und eine überzeugende.
Fazit: „Lonely People With Power“ markiert die Rückbesinnung von DEAFHEAVEN auf ihre emotionale und aggressive Stärke – ein geschlossenes, überzeugendes Album.
Tracklist
01. Incidental I
02. Doberman
03. Magnolia
04. The Garden Route
05. Heathen
06. Amethyst
07. Incidental II [feat. Jae Matthews]
08. Revelator
09. Body Behavior
10. Incidental III [feat. Paul Banks]
11. Winona
12. The Marvelous Orange Tree
Besetzung
Kerry Dylan McCoy – guitars
George Clarke – Vocals
Daniel Tracy – Drums
Shiv Mehra – Guitars
Chris Johnson – Bass

