Es gibt Bands, die kommen aus dem Nichts, zünden sofort und hinterlassen einen bleibenden Eindruck. HARKON gehören zweifellos in diese Kategorie. Mit »Love And Vore« legt das Quartett um Sänger und Szene-Veteran Björn Gooßes (bekannt durch THE VERY END und NIGHT IN GALES) ein Album vor, das kompromisslos zwischen emotionaler Wucht und metallischer Präzision balanciert. Der Titel selbst – ein Wortspiel aus „Love And War“ und „Vore“ (lat. „verschlingen“) – deutet bereits an, dass hier keine einfache Kost serviert wird. Stattdessen liefert die Band elf Songs, die sich durch Leidenschaft, Aggression und eine feine Prise Melancholie auszeichnen.
Wuchtige Riffs, treibende Drums und unverwechselbare Stimme
Schon der Opener »Watch The World Go By« macht klar, wohin die Reise geht: ein wuchtiges Riff, treibende Drums und Gooßes’ unverwechselbare Stimme, die zwischen klarer Melodik und grollendem Zorn changiert. Der Song öffnet das Album mit filmischer Größe, bevor das energiegeladene »Double Down« nachlegt – eine Nummer, die sowohl Hymnenpotenzial als desgleichen Moshpit-taugliche Härte besitzt. Hier zeigt sich Gitarrist Volker Rummel in Bestform: Seine Riffs sind kantig, doch niemals plump; seine Soli kommen punktgenau und mit Gefühl.
Mit »Blood Will Have Blood« erreicht das Album einen seiner düstersten Momente. Der Titel, angelehnt an Shakespeare, passt perfekt zu Gooßes’ Lyrik – introspektiv, hingegen nie pathetisch. Die rhythmische Wucht von Drummer Lars Zehner trägt den Song, während Bassist Marcel Willnat dem ganzen Tiefe und Schwere verleiht. Hier zeigt sich die Band als geschlossenes Kollektiv, das jeden Ton aufeinander abstimmt.
Mit »Take It Slow« gönnen HARKON dem Hörer eine kurze Atempause – zumindest oberflächlich. Die melancholische Grundstimmung bleibt, trotzdem das Tempo weicht atmosphärischer Weite. Gooßes singt mit rauer Verletzlichkeit, und spätestens hier wird deutlich, dass »Love And Vore« mehr will als nur zu prügeln. Dieses Album erzählt von Konflikten – inneren wie äußeren –, von Verlust, Sehnsucht und dem verzweifelten Versuch, Menschlichkeit in einer zersplitterten Welt zu bewahren.
Progressive Struktur und feine Dynamikwechsel
»Disconnected« und »Thistleblower« führen diese Dualität fort. Erstere Nummer glänzt mit modernem Groove und einem Refrain, der im Ohr bleibt, während Letztere mit progressiver Struktur und feinen Dynamikwechseln überrascht. Besonders auffällig ist die Produktion: Druckvoll, transparent und organisch zugleich. Nichts klingt überpoliert oder künstlich – man spürt den Raum, die Schwere der Instrumente, die raue Energie der Band.
Der Mittelteil des Albums überzeugt durch Abwechslung. »The Errorist« punktet mit klugen Texten und rhythmischer Komplexität, während »Dead Sun« die apokalyptische Stimmung fast greifbar macht – ein brodelnder Song, der in seiner Atmosphäre an KATATONIA oder PARADISE LOST erinnert, ohne je in reinen Gothic Metal abzudriften.
Mit »The Disease« und »Round And Round« schlagen HARKON eine Brücke zwischen klassischem Metal und moderner Härte. Besonders das Zusammenspiel von Bass und Schlagzeug sorgt für ein solides Fundament, auf dem Rummels Gitarren flirren und schneiden. Die Songs sind kompakt, demgegenüber detailverliebt – ein Spagat, den viele Bands nicht schaffen.
Das Finale »One In Vermillion« schließt das Album würdig ab. Hier kulminiert alles, was »Love And Vore« ausmacht: rohe Emotion, epische Melodie und ein Hauch existenzieller Tragik. Gooßes’ Stimme, mal kehlig, mal glasklar, transportiert den Text mit beeindruckender Intensität. Es ist ein würdiger Schlusspunkt, der nachhallt und das Album rund macht.
Kein leicht verdauliches Album – und das ist sein größter Reiz
»Love And Vore« ist kein leicht verdauliches Album – und das ist sein größter Reiz. HARKON verweigern sich der Beliebigkeit, stattdessen liefern sie ein Werk voller Ecken, Kanten und Seele. Zwischen modernem Heavy-Metal, Melodic-Death und Alternative-Elementen entsteht eine Klangwelt, die gleichermaßen aggressiv wie sensibel ist. Was »Love And Vore« besonders stark macht, ist seine Authentizität. Hier geht es nicht um technische Selbstdarstellung oder Trendgehorsam, sondern um ehrliche Musik – gespielt von Musikern, die etwas zu sagen haben. Die Produktion unterstreicht diese Haltung: wuchtig, direkt, aber auf keinen Fall steril.
Mit ihrer ersten großen Duftmarke setzen HARKON ein Zeichen. Wer Alben liebt, die sowohl den Nacken als daneben das Herz ansprechen, wird hier fündig. Nicht jeder Song zündet sofort, nichtsdestoweniger das Gesamtwerk wächst mit jedem Durchlauf. Und das ist ein gutes Zeichen: »Love And Vore« ist kein Fast-Food-Metal, sondern ein vielschichtiges Statement einer Band, die ihren eigenen Weg geht.
Fazit: »Love And Vore« von HARKON ist ein starkes Album, das sowohl stilistisch als auch inhaltlich überzeugt.
Tracklist
01. Watch The World Go By
02. Double Down
03. Blood Will Have Blood
04. Take It Slow
05. Disconnected
06. Thistleblower
07. The Errorist
08. Dead Sun
09. The Disease
10. Round And Round
11. One In Vermillion
Besetzung
Björn Gooßes – Vocals
Volker Rummel – Guitar
Marcel Willnat – Bass
Lars Zehner – Drums

