Die norwegischen Giganten ULVER präsentieren mit „Neverland“ ihr neunzehntes Album. Wie inzwischen gewohnt, bewegt sich die Musik klar im elektronischen Bereich, mit Einflüssen aus New Wave und Synth Pop, atmosphärisch, leicht und zugänglich. Es ist eine konsequente Fortführung ihrer jüngeren Werke, ein weiteres angenehm fließendes Album ohne große Brüche.
Einführung in die elektronische Welt
Das Album eröffnet mit elektronischen Klängen im typischen Spätwerk-Stil der Band. „Fear In A Handful Of Dust“ fungiert als atmosphärisches Intro, mit zarter Instrumentierung und gesprochenen Vocals, die eine Geschichte erzählen und den thematischen Rahmen des Albums andeuten. Eine leicht unheimliche Aura schwingt mit, ohne jedoch dominant zu werden. „Elephant Trunk“ beginnt mit einem schönen, melancholischen Piano-Thema, das langsam von elektronischen Effekten umspielt wird. Verzerrungen und moderne Synth-Elemente verändern schrittweise die anfänglich märchenhafte Stimmung, ohne sie vollständig aufzulösen, und verleihen dem Stück zusätzliche Dynamik.
ULVER zählen zu den kontroversesten, aber auch beliebtesten Bands, die aus der zweiten Welle des Black Metal hervorgegangen sind. 1993 in Oslo gegründet, startete die Band mit klassischem Black Metal, integrierte später Folk-Elemente und wandte sich schließlich vollständig elektronischer Musik zu. Die Entwicklung hin zu Synth Pop und New Wave markiert eine vollständige Abkehr von den Ursprüngen, ohne jedoch die eigene Identität zu verlieren. Trotz – oder gerade wegen – dieser Wandlungen verfügt die Band über eine große und treue Anhängerschaft. Konstant geblieben ist Kristoffer Rygg, Gründungsmitglied und kreativer Kern, der neben den Vocals auch für das Programming verantwortlich zeichnet. Seit 2000 ist Jørn H. Sværen für verschiedene musikalische Aufgaben zuständig, darunter auch Schlagzeug, wenn dieses zum Einsatz kommt. Ole Aleksander Halstensgård ergänzt seit 2017 das Line-up an den Electronics.
Zwischen Minimalismus und Synth-Pop
„Weeping Stone“ kehrt zu einem langsamen Tempo zurück, getragen von distanzierten weiblichen Vocals, die die ätherische, leicht unheimliche Stimmung verstärken. Die Instrumentierung bleibt minimalistisch und reduziert. Deutlich komplexer präsentiert sich „People Of The Hills“, mit dichterer Synthesizer-Arbeit, moderneren Strukturen und einem klaren Synth-Pop-Charakter. Das Stück entwickelt sich im Verlauf zunehmend progressiv und zählt zu den Höhepunkten des Albums.
Die Produktion ist durchgehend sehr gelungen. Die Vielzahl an unterschiedlichen Sounds und Effekten fügt sich stimmig in das Gesamtbild ein. Der experimentelle Geist der Band ist stets präsent, ebenso der Wille, ungewöhnliche Ansätze zu verfolgen. Dennoch bleibt der Sound ausgewogen und dynamisch, ohne überladen zu wirken.
In der Folge bewegt sich das Album weiterhin zwischen dichter Ausarbeitung und bewusstem Rückzug auf minimalistische Strukturen. „They’re Coming! The Birds!“ hellt die Stimmung spürbar auf, während „Hark! Hark! The Dogs Do Bark“ deutlich experimenteller ausfällt, mit harschen Klängen und wenig Melodie. „Horses Of The Plough“ schlägt wieder ruhigere Töne an, langsam, getragen und atmosphärisch. Verhallte Sounds und unterschwellige Störungen sorgen für eine dichte, teils beunruhigende Klanglandschaft.
Experimentelle Klangreisen und Abschluss
Mit „Pandora’s Box“ taucht das Album vollständig in experimentelle und avantgardistische Gefilde ein. Zersplitterte Geräusche, scheinbar unverbundene Klänge und Effekte dominieren zunächst, bis sich allmählich eine klarere melodische Linie herauskristallisiert. Das Stück gewinnt im Verlauf an Struktur und Geschlossenheit und erweist sich als spannendes Experiment.
„Quivers In The Marrow“ knüpft atmosphärisch daran an, bleibt jedoch melodischer und stärker von Synthesizern geprägt. „Welcome To The Jungle“ bringt erstmals einen deutlicheren Rhythmus ins Spiel, mit tribalartigen Drums und einem Instrument, das an eine Gitarre erinnert. Den Abschluss bildet „Fire In The End“, ein langsames, introspektives Stück, das weniger als Abschlussstatement fungiert, sondern vielmehr als weiteres Glied in der fortlaufenden Klangreise. Die letzten Passagen setzen auf einen positiveren Ton und eine leicht gesteigerte Dynamik.
Nicht unbedingt die Art von Musik, die üblicherweise im Fokus steht, doch ULVER waren stets eine Ausnahmeerscheinung. Ohne jegliche Metal-Elemente bleibt die Band für viele Hörer aus extremen Genres faszinierend. Oft ist es Musik, die aus Neugier entdeckt wird, und nicht selten schließen sich neue Hörer dem Kreis der langjährigen Fans an.
„Neverland“ ist ein ehrliches Album, getragen von Erfahrung, Spielfreude und dem ungebrochenen Drang, neue Klangräume zu erkunden. Es fügt sich schlüssig in eine beeindruckende Diskografie ein und zeigt eine Band, die auch nach all den Jahren ihren eigenen Weg konsequent weitergeht.
Fazit: Avantgardistische elektronische Klangwelten, stimmungsvoll und experimentell – „Neverland“ vertieft ULVERs späte Phase überzeugend.
Tracklist
01. Fear In A Handful Of Dust
02. Elephant Trunk
03. Weeping Stone
04. People Of The Hills
05. They’re Coming! The Birds!
06. Hark! Hark! The Dogs Do Bark
07. Horses Of The Plough
08. Pandora’s Box
09. Quivers In The Marrow
10. Welcome To The Jungle
11. Fire In The End
Besetzung
Kristoffer Rygg – Vocals, Programming
Jørn H. Sværen – Verschiedenes
Ole Aleksander Halstensgård – Electronics

