2025 brachte eine große Anzahl starker Veröffentlichungen hervor, von denen viele bereits frühzeitig auf Metalunderground besprochen wurden. Einige Alben jedoch blieben – aus unterschiedlichen Gründen – ohne Review. Zum Jahresende greifen wir diese Veröffentlichungen noch auf. Diese Retro-Reviews verstehen sich nicht als Korrektur, sondern als Ergänzung: Alben, die inhaltlich, stilistisch oder innerhalb ihres jeweiligen Genres Gewicht haben und das musikalische Profil des Jahres entscheidend mitgeprägt haben.
Mit „Scorched Earth“ markieren HARAKIRI FOR THE SKY eine Rückkehr zu ihrer stärksten Form. Ein intensives Album, das den Kern ihres Sounds klarer freilegt als die unmittelbaren Vorgänger. Geprägt von eindringlichen, melancholischen Melodien und zugleich von viel Wut getragen, gelingt der Band erneut die Balance zwischen Gegensätzen, die stets emotional aufgeladen bleiben.
Emotionaler Einstieg mit Piano, Kontrasten und frühen Höhepunkten
Eines der ersten klaren Highlights ist der Opener „Heal Me“. Pianoklänge tragen den emotionalen Kern des Songs, während J.J. auf der anderen Seite des Spektrums mit wütenden, aufgewühlten Shouts agiert. Die Beteiligung von Gastmusiker Tim Yatras (Austere, Germ) ergänzt das vokale Gesamtbild wirkungsvoll. Gute Riffs, ein stark rhythmischer Mittelteil und ein atmosphärischer Abschnitt mit hallenden Vocals, der zum Piano zurückführt, ergeben eine vollständige Komposition mit wechselnden Klangräumen, die durch eine klare melodische Linie zusammengehalten werden. Ein beeindruckender Einstieg in das Album.
Ein weiterer deutlicher Höhepunkt ist „Keep Me Longing“. Wieder eröffnet ein Piano mit einer traurigen Melodie, die sich langsam zu einer komplexeren Struktur entwickelt. Besonders gelungen ist die Transformation dieser sensiblen, zerbrechlichen Linie in ein aggressiveres Klangbild, ohne dass der Song seine innere Geschlossenheit verliert. Prägnante Leadgitarren und wiederkehrende Pianochords begleiten das Stück durchgehend. Ein eindringlicher Song mit vielen emotionalen Ebenen und einer starken, einprägsamen Melodie.
Was lässt sich über HARAKIRI FOR THE SKY sagen, das nicht bereits bekannt wäre? Eine der bedeutendsten österreichischen Metal-Exportbands, mit beachtlichem Erfolg auf den europäischen Bühnen. 2011 in Salzburg gegründet, erschien 2012 das selbstbetitelte Debüt, gefolgt von „Aokigahara“ zwei Jahre später – zwei Veröffentlichungen, die die Band rasch zu einem der vielversprechendsten Acts ihres Genres machten. „III: Trauma“, vielfach als ihr Meisterwerk angesehen, stellte einen weiteren Entwicklungsschritt dar und gilt als herausragendes Beispiel für Post-Black-Metal. Seit Beginn besteht die Band aus M.S. (ex-Bifröst, ex-Karg live), der alle Instrumente spielt und für das Songwriting verantwortlich ist, sowie J.J. (Karg, Lûs, ex-Seagrave), der die Vocals und sämtliche Texte übernimmt.
Konsequente Weiterentwicklung und klare Handschrift
Das hohe Niveau hält auch „Without You I’m Just A Sad Song“, stilistisch leicht anders gelagert, aber nicht weniger emotional. Der Ansatz ist direkter, die Leadgitarre tritt stärker in den Vordergrund. Melodische, obsessive Akkorde tragen eine melancholische Linie, die sich zu massiven Klangwänden steigert, dabei jedoch immer wieder zu reduzierten, intimen Momenten zurückkehrt. Eine komplexe, vielschichtige Komposition von großer emotionaler Dichte.
Die Produktion ist sehr ausgewogen und genretypisch, mit der melodischen Leadgitarre als zentralem Element und den Vocals als bewusst gesetztem Kontrast. Doch die Musik von HARAKIRI FOR THE SKY geht darüber hinaus: Die Instrumentierung kann dicht und überwältigend sein, bleibt aber stets eingebettet und bildet das notwendige Fundament für die tragenden Elemente. Verantwortlich für die Produktion ist wie bei früheren Alben M.S., der das Klangbild präzise auf die gewünschte Wirkung abstimmt.
Aggression, Melancholie und stilistische Vielfalt im Albumverlauf
Die folgenden Songs führen die eingeschlagene Richtung konsequent fort. „No Graves But The Sea“ betont stärker die Black-Metal-Wurzeln der Band und wirkt insgesamt aggressiver. „With Autumn I’ll Surrender“ hingegen setzt elektronische Elemente ein, die Atmosphäre und Gesamtklang deutlich verändern, ohne den emotionalen Kern zu verlieren. J.J.s Shouts transportieren weiterhin Wut, während Gitarren und Keyboards Melancholie tragen.
„I Was Just Another Promise You Couldn’t Keep“ ist besonders dramatisch angelegt. Weniger melodisch, dafür mit extrem eindringlichen Vocals, in denen J.J. herausragt. Vielschichtige Soundlagen, verzweifelte Schreie und eine dichte Instrumentierung prägen den Song, dessen Klang direkter und in Teilen sehr aggressiv ausfällt.
„Too Late For Goodbyes“ kehrt zu einer stark melancholischen, klagenden Atmosphäre zurück. Der Gastbeitrag von Serena Cherry (Svalbard) verleiht dem Stück zusätzliche emotionale Tiefe. Den Abschluss bildet „Street Spirit (Fade Out)“, eine Coverversion des Radiohead-Klassikers von 1995. Mit Gastvocals von P.G. (Groza) entsteht eine eigenständige, intensive Interpretation, die sich deutlich vom restlichen Album abhebt und einen besonderen Platz in der Diskografie der Band einnimmt.
Verdichtete Emotionen und nachhaltige Wirkung
J.J.s Shouts stehen in starkem Kontrast zu den zerbrechlichen Melodien – ein bekanntes Markenzeichen der Band. Auf „Scorched Earth“ treten diese Gegensätze noch deutlicher hervor als zuvor und fügen sich dennoch zu einem geschlossenen Gesamtbild. Unter der scheinbar direkten Oberfläche verbirgt sich eine Vielzahl komplexer Schichten und detailreicher Klangräume, die mit jedem Hördurchgang neue Facetten offenbaren.
Ein Album voller einprägsamer Momente und markanter Songs, die ein Highlight an das nächste reihen. Mit über einer Stunde Spielzeit knüpft die Band an ihre bevorzugte epische Ausrichtung an. Die Länge der Stücke erlaubt es den Kompositionen, sich organisch zu entfalten, Entwicklungen auszuspielen und Emotionen konsequent auszudrücken. Verzweiflung, Verlust, Liebe, Zorn und existentielle Konflikte werden spürbar transportiert – und genau darin erfüllt das Album seinen Anspruch.
Fazit: HARAKIRI FOR THE SKY setzen mit „Scorched Earth“ einen markanten Punkt in ihrer Laufbahn – ein Werk, das Melodie und Aggression überzeugend vereint.
Tracklist
01. Heal Me
02. Keep Me Longing
03. Without You I’m Just A Sad Song
04. No Graves But The Sea
05. With Autumn I’ll Surrender
06. I Was Just Another Promise You Couldn’t Keep
07. Too Late For Goodbyes
08. Street Spirit (Fade Out) [Radiohead cover]
Besetzung
M.S. – All instruments
J.J. – Vocals
Drums by Kerim „Krimh“ Lechner
Guest vocals on „Heal Me“ by Tim Yatras (Austere, Germ)
Guest vocals on „Too Late For Goodbyes“ by Serena Cherry (Svalbard)
Guest vocals on „Street Spirit“ by P.G. (Groza)
Backing vocals by Jorge Cisternas (Sunvher)

