
Mit Tooth and Nail legen die Polen von DORMANT ORDEAL ein technisch brillantes, brutal intensives und atmosphärisch dichtes Werk vor. Eine Band, die sich keinem Szenekontext zuordnen lässt, in Konzepten statt Konventionen denkt – und dabei doch tief im Death Metal verwurzelt bleibt. Gitarrist und Hauptsongwriter Maciej Nieścioruk sprach mit uns über die Entstehung des neuen Albums, künstlerische Visionen und seine Sicht auf die Extreme des Genres.
Zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zum neuen Album!
War es eine andere Erfahrung, „Tooth and Nail“ zu erschaffen als bei euren bisherigen Werken?
Danke. Die Entstehung dieses Albums war in der Tat eine andere Erfahrung, da es das erste ohne Radek, unseren langjährigen Schlagzeuger, ist. Bei den früheren Alben haben wir viel Zeit in unserem Proberaum verbracht. Sein Ausstieg ließ mich ernsthaft über das Fortbestehen der Band nachdenken – die Suche nach einem neuen Schlagzeuger erschien mir als zu großer Aufwand. Nach einigem Nachdenken beschlossen wir jedoch, dieser nun dezimierten Besetzung eine Chance zu geben.
Euer vorheriges Album „The Grand Scheme of Things“ wurde weltweit sehr positiv aufgenommen.
Hat dieser Erfolg etwas für euch verändert – persönlich oder musikalisch?
„Erfolg“ ist ein seltsames Wort, weil jeder etwas anderes darunter versteht. Innerhalb der Band war es definitiv ein Erfolg, da es deutlich besser lief als „We Had It Coming“. Es brachte auch das Gespräch mit Willowtip über einen möglichen Vertrag ins Rollen. Vogg von Decapitated hat es sich angehört und uns einen Support-Slot für den polnischen Teil ihrer Tour angeboten. Es hat auf jeden Fall Türen geöffnet.
„Tooth and Nail“ ist euer erstes Album als Duo, und ihr habt auch das Label gewechselt.
Wie haben sich diese großen Veränderungen auf den kreativen Prozess und die Dynamik innerhalb der Band ausgewirkt?
Ohne Radek am Schlagzeug musste ich zu Hause alle Drum-Patterns programmieren, um Chason Westmoreland, dem Session-Drummer, eine Grundlage zu geben – das war der größte Unterschied. Früher haben wir uns die Texte geteilt, diesmal habe ich alle selbst geschrieben. Der Vertrag mit Willowtip war sozusagen das Sahnehäubchen nach all den Jahren Unabhängigkeit. Zum ersten Mal konnten wir uns voll auf das Album konzentrieren, ohne ständig auf unser Budget zu achten. Wir wussten, dass uns dieser Deal mehr Sichtbarkeit bringen würde, aber ehrlich gesagt ist die Resonanz sogar besser als erwartet.
Wie habt ihr zwei euch kennengelernt und angefangen, musikalisch zusammenzuarbeiten?
Ein kleiner Hintergrund für unsere Leser!
Diese Band war ursprünglich Radeks Schlafzimmerprojekt. Irgendwann entschied er sich, ans Schlagzeug zu wechseln und ein vollständiges Line-up zu suchen. Ich und der andere Maciej stießen 2008 dazu, also Jahre vor dem Debütalbum. Es war eine intensive Zeit – die Proberäume wechselten alle paar Monate, ich erinnere mich an viele Vorspiele für Bass, zweite Gitarre und Gesang. Viele lebhafte Erinnerungen.
Rückblickend: Was waren die wichtigsten Einflüsse, die dich zur Metal-Musik geführt haben?
Gab es eine bestimmte Band, ein Album oder gar einen konkreten Moment, der alles ins Rollen brachte?
Meine prägendsten Jahre waren von 1993 bis 1998 – ich bin mit den Alben aufgewachsen, die damals verfügbar waren. The Bleeding von Cannibal Corpse, De Profundis von Vader, Formulas von Morbid Angel, aber auch frühe Machine Head, Fear Factory usw. In dieser Zeitspanne. Der größte Einfluss war jedoch Sepultura. Ich fing tatsächlich wegen Max Cavalera mit dem Gitarrespielen an – meine 30 Jahre alte Warlock liegt immer noch in einem Koffer irgendwo. Es gab keinen konkreten Moment – es war eher das Aufwachsen in einem bestimmten Umfeld. Kleinstadt, kaum Metalheads zum Reden, viel freie Zeit, um Gitarre zu spielen.
Wenn es ums Musikmachen geht – woher nimmst du deine Inspiration? Und gab es ein bestimmtes Konzept oder eine Vision hinter „Tooth and Nail“?
Ich suche nicht aktiv nach Inspiration, es ist eher so ein „Augen und Ohren offen halten“-Ansatz. Selbst eine Waschmaschine kann inspirierend sein, wenn man genau hinhört. Heutzutage finde ich Filmsoundtracks am kreativsten – wie sie Schicht für Schicht aufbauen und einfache Melodien hervorheben, ist faszinierend. Textlich basiert das Album auf dem Konzept des Kampfes. Ein Konzept für jedes Album hilft mir, meinen Kopf in einen bestimmten Rahmen zu setzen und das Material stimmig zu halten.
Gab es besondere Momente oder Herausforderungen bei der Entstehung, Aufnahme oder Produktion von „Tooth and Nail“?
Die einzige Herausforderung war es, einen Sprecher für die Spoken-Word-Passage in Solvent zu finden. Ich war mir sicher, das würde mit Plattformen wie Voices.com ganz leicht gehen, aber es wollte einfach niemand den Job annehmen. Zu der Zeit traf ich Dominic von Intonate/RGRSS und fragte ihn – er hat sofort zugesagt. Abgesehen davon verlief alles genau so, wie es von Anfang an geplant war.
Hast du einen persönlichen Favoriten auf dem neuen Album – sei es für dich selbst oder im Hinblick auf Live-Auftritte?
Ich habe das Album so oft gehört, bevor es überhaupt veröffentlicht wurde, dass es inzwischen fast eine Art Hassliebe ist. Jetzt, wo es draußen ist, werde ich es vermutlich eine lange Zeit nicht mehr anrühren – ich war einfach zu lange zu nah dran. Aber wenn ich heute einen Favoriten nennen müsste, dann vielleicht Wije i Mary, Pt. 2 und Orphans. Ob und welche Songs wir live spielen, ist aber völlig unklar – wer weiß überhaupt, ob wir bald wieder live auftreten.
Sowohl der erste als auch der letzte Track auf Tooth and Nail sind auf Polnisch.
Gab es dafür einen bestimmten Grund?
Die Lyrics zu Wije i Mary, Pt. 1 kamen mir in einer sehr ungewöhnlichen Situation. Ich hatte 2021 hohes Fieber durch eine Covid-Infektion, und eines Abends – in so einem halb-bewussten Dämmerzustand – hörte ich diese Worte plötzlich in meinem Kopf. Es war, als würde mir jemand Zeile für Zeile ins Ohr flüstern, während ich in einem leeren Raum lag. Ursprünglich wollte ich sie ins Englische übersetzen, aber irgendwann wurde klar, dass sie genauso bleiben müssen. Part 2 war dann eine bewusste Weiterführung dieser Idee.
Das Artwork von Tooth and Nail ist für ein Death-Metal-Album ziemlich unkonventionell und auffällig.
Was steckt dahinter? Und wie wichtig ist euch visuelle Kunst bei der Darstellung eurer Musik?
Ich hatte schon lange den Titel und die Texte, aber keine klare Vorstellung vom Artwork. Dann sah ich ein Gemälde der polnischen Künstlerin Zofia Stryjeńska – und plötzlich ergab alles Sinn. See Machine hat einen sehr eigenen Stil, den ich sehr mag, also habe ich ihn gebeten, daraus eine moderne Interpretation mit ein paar eigenen Details zu machen. Für mich ist es etwas, das sowohl aus der Metal-Szene stammt als auch darüber hinausweist. Visuelle Kunst ist uns extrem wichtig – jedes Album ist als Gesamtkonzept gedacht.
Seid ihr neben Dormant Ordeal derzeit in andere musikalische Projekte oder Kollaborationen involviert?
Unser Sänger Maciej Proficz ist Mitglied einer Band namens Cursebinder – sie machen so eine Mischung aus Black, Post und Avantgarde Metal. Ihr Debüt Drifting ist seit einiger Zeit draußen. Ich selbst habe weder die Zeit noch die Energie für ein zweites Projekt – musikalisch bin ich zu 100 % auf Dormant fokussiert.
Dormant Ordeal feiert dieses Jahr 20-jähriges Bestehen – Glückwunsch!
Gibt es besondere Pläne zu diesem Jubiläum?
Danke, aber um das richtigzustellen: Der Name ist zwar 20 Jahre alt, die Band selbst wurde erst 2008 gegründet. Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, welches Datum wir als „Geburt“ der Band nehmen sollten – den Tag, an dem der letzte aus dem klassischen Line-up dazustieß? Unser erstes Konzert? Die erste Demo? Ich selbst kümmere mich eigentlich nicht um die Live-Logistik, deshalb kann ich nicht mit Sicherheit sagen, ob es irgendeine Art von Jubiläumsfeier geben wird. Die Zeit wird’s zeigen.
Polen hat eine der stärksten und angesehensten Metal-Szenen weltweit.
Fühlst du dich als Teil davon – gibt es so etwas wie gegenseitige Inspiration oder eine Community?
Ich fühle mich nicht verbunden, um ehrlich zu sein. Die polnische Szene entwickelt sich gerade in eine Richtung, die mich nicht besonders begeistert – und ich denke, umgekehrt sehen viele aus der Szene in uns auch nicht unbedingt etwas, das sie interessiert. Und das ist okay. Im großen Ganzen ist das nicht so wichtig. Viel entscheidender ist, dass wir Rückhalt und positives Feedback von polnischen Hörer:innen bekommen – das zählt mehr als jede mediale Aufmerksamkeit.

Gibt es Pläne für zukünftige Konzerte oder eine Tour?
(Wir würden euch sehr gern einmal wieder in Wien sehen!)
Tatsächlich war einer unserer einprägsamsten Auftritte in Wien im Jahr 2023. Wir waren beim Festival The Fall II eingeladen und haben uns die Bühne mit Uada, Wiegedood, Kanonenfieber und einigen anderen geteilt. Das hat richtig Spaß gemacht und war insgesamt eine bereichernde Erfahrung. Aber Touren ist kompliziert – ehrlich gesagt ist es ein Spiel namens „Wie spielt man ein paar Shows, ohne dabei zu viel Geld zu verlieren“. Deshalb will ich auch nichts ankündigen, was eventuell nur hinter den Kulissen gärt – selbst eine kurze Tour ist organisatorisch ein gewaltiger Aufwand.
Euer Sound ist technisch und brutal, doch es gibt immer eine starke emotionale Komponente.
Ist es euch wichtig, Intensität und Emotion in eurer Musik auszubalancieren?
Es scheint, dass immer mehr Leute diesen Eindruck von unserer Musik haben. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, könnte das tatsächlich an meiner musikalischen Prägung und meiner introvertierten Persönlichkeit liegen. Allgegenwärtige Aggression mit einer Prise technischer oder dissonanter Elemente trifft auf einen zunehmend älteren Menschen, der von der Freude am kreativen Schaffen angetrieben wird. Ich fühle mich generell zu emotionaler Musik hingezogen, ganz unabhängig vom Genre – dieser Inhalt trifft bei mir einfach am tiefsten.
Wenn du dein Traum-Line-up für eine Tour zusammenstellen könntest – mit beliebigen Bands aus jeder Epoche – wen würdest du mit auf die Reise nehmen?
Je länger ich das mache, desto weniger verspüre ich den Wunsch, meine Jugendhelden jemals kennenzulernen. Teilweise, weil man nie weiß, was für Menschen sie wirklich sind – aber auch, weil ich selbst keinen besonders guten ersten Eindruck hinterlasse. Ich halte mich meist eher zurück, was leicht als Arroganz oder Abneigung missverstanden werden kann (was weiter von der Wahrheit kaum entfernt sein könnte). Um deine Frage zu beantworten: Ich würde am liebsten Sepultura in ihrer Chaos A.D.-Ära als Headliner dabeihaben, unterstützt von Morbid Angel aus den 90ern, Death und Fear Factory zur Demanufacture-Zeit… mit mir selbst im Publikum.
Wenn Tooth and Nail kein Album, sondern ein Ort oder eine Landschaft wäre – wie würde sie aussehen?
Das ist gar nicht so leicht. Vielleicht wäre es eine Szenerie, in der sich gerade der Rauch nach einem traumatischen Ereignis lichtet – und man als unbeteiligter Beobachter das Ausmaß der Zerstörung betrachtet. Es hat einen nicht direkt betroffen, aber wenn man sich lange genug damit konfrontiert, hinterlässt es Spuren.
Zum Abschluss des Interviews: Die letzten Worte gehören dir.
Gibt es etwas, das du unseren Lesern mitgeben möchtest – eine Botschaft, ein Gedanke zum Album oder einfach etwas, das dir auf dem Herzen liegt?
Wenn ihr nach einem Death-Metal-Album sucht, das nicht so recht in die klassische Death-Metal-Schublade passt, hört in unser neues Album rein. Vielen Dank für das Interview.