ELLENDE – Interview

Interview: L.G. Fotos: Anne C. Swallow.; Julian Jauk Foto Quelle: ellende.at

Seit über einem Jahrzehnt steht ELLENDE für eine zutiefst emotionale, atmosphärisch dichte Mischung aus Black Metal, Post Black und klassischer Instrumentierung – kompromisslos eigenständig, jenseits aller Genre-Schablonen. Mastermind L.G. hat mit uns über Songwriting, emotionale Extreme, persönliche Erfahrungen und die Schattenseiten des Musikerdaseins gesprochen. Ein Gespräch über Musik als Ausdruck existenzieller Zustände.

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Photo Credit: Anne C. Swallow.

 

Deine Musik wirkt wie eine intensive Mischung aus Kontrollverlust und Feinarbeit. Wie entsteht ein Song bei Ellende, was ist meist der erste Impuls?

L.G.: Das ist immer unterschiedlich. Ich wechsle oft die Instrumente, nehme vieles auf, und wenn ich etwas Interessantes finde, bau ich daran weiter. Für mich ist es wichtig, regelmäßig und ohne Erwartungshaltung Musik zu machen. Früher oder später entsteht immer etwas, das ich teilen will.

Du bist bei Ellende für alles zuständig: Komponist, Texter, Produzent.
Wie gelingt es dir, dabei objektiv zu bleiben? Ist das eher Befreiung oder Belastung?

Ich hoffe, ich versteh richtig, was du mit „objektiv“ meinst. Es gibt verschiedene Seiten im Musikbusiness, wie in jedem Job. Komponieren und Texten gehört für mich zusammen und ist eine sehr persönliche, emotionale Auseinandersetzung. Alles andere wie Vertrieb, Steuern usw. versuche ich so weit wie möglich abzugeben. Es hat ein bisschen gedauert, bis ich gecheckt hab, dass ich langsam in die Rolle eines Buchhalters und Vertrieblers gerutscht bin. Und weg von der eines Musikers.

Die Dynamik zwischen instrumentalen Passagen und Gesang scheint bewusst gesetzt. Was entsteht zuerst, Musik oder Text?

Das ist auch unterschiedlich. Ich hab oft Textfragmente oder Themen, die mich länger beschäftigen, und die ich dann einflechte oder ausbaue. Grundsätzlich entsteht aber zuerst die Musik.

Wie definierst du den Moment, an dem ein Song oder ein Album für dich fertig ist? Gibt es da einen klaren Punkt oder eher ein Gefühl?

Ich verlass mich da eher auf mein Bauchgefühl. Und schau auf die Gesamtspielzeit. 45 bis 55 Minuten sind für mich perfekt. Der Musikkonsum und die Aufmerksamkeitsspanne von Hörern haben sich verändert. Früher hab ich auch kürzere Werke als EP veröffentlicht. Macht heute aber wenig Sinn, weil das medial nicht mehr genug Aufmerksamkeit bekommt. Leider.

Wenn man über Ellende liest, begegnet man zahlreichen Genres: Post-Black Metal, Depressive Black, Ambient, Atmospheric. Wie siehst du selbst deine Musik? Fühlst du dich einer Szene oder einem Genre zugehörig?

Ich mach mir über solche Dinge wenig Gedanken. Ich versteh schon, dass man sich bei dem Überangebot irgendwie positionieren will. Aber es schränkt einen auch ein. Mir persönlich ist so eine Einordnung nicht wichtig. Ich werd hoffentlich keinen Schlager machen, aber ich nehm mir die Freiheit, grenzübergreifend zu arbeiten. So wie’s mich halt schert.

cover artwork Ellende TriebeDeine Alben klingen unterschiedlich, aber alle tragen eine klare Ellende-Handschrift. Was macht für dich den Kern deines Sounds aus? Und wie hat sich dein Songwriting verändert?

Vor allem bei Gitarren, Akustikgitarren und Schlagzeug bin ich sehr wählerisch. Da gibt es Hersteller, Equipment und bestimmte Sounds, die ich bevorzuge. Mit Markus Stock und der Klangschmiede Studio E haben wir jemanden gefunden, der genau das umsetzen kann, was wir wollen. Nicht nur schnelle, druckvolle Passagen, sondern auch intime, atmosphärische Musik.

Deine Texte sind oft kryptisch, poetisch, sehr persönlich. Wiederkehrende Themen wie Isolation, Vergänglichkeit, Natur. Was zieht dich immer wieder zu diesen Motiven zurück?

Ich glaub, in der heutigen Zeit muss jeder irgendwie einen Umgang mit der Welt und Gesellschaft finden. Die Natur und Vergänglichkeit erinnern uns daran, dass vieles einfach nicht wichtig ist. So komisch das klingt, aber der Tod meines Bruders hat viele Ängste bei mir weggewischt. So schwer es auch ist, damit zu leben. Ich hab erkannt, dass vieles, was mich gestört hat, in Wahrheit egal ist. Ich geh meinen Weg und verfolge meine Leidenschaften trotz Widerstand und Hindernissen. Wenn du Menschen hast, mit denen du das teilen kannst, hast du schon gewonnen.

Spielt Sprache für dich eine zentrale Rolle in der Musik?
Hast du jemals über englische Texte nachgedacht oder ist Deutsch ein essenzieller Bestandteil von Ellende?

Ein paar Texte sind auch auf Englisch, vor allem auf den letzteren Alben. Jede Sprache hat ihre Ausdrucksformen. Linguisten könnten da sicher mehr dazu sagen. Ich verwende beide gezielt und bewusst, je nachdem, was ich ausdrücken will.

Du hast einen sehr charakteristischen Sound. Wie wichtig ist dir die Produktionsphase im Vergleich zum Komponieren?

Ich hab sehr genaue Vorstellungen, was ich will. Der Sound entsteht daher hauptsächlich im Heimstudio. In der Hinsicht bin ich halt ein Nerd. Markus meinte mal, Ellende sei sehr effizient beim Recording, weil „ihr bringt ja auch schon viel mit“.
Trotzdem ist die Zusammenarbeit essenziell. Seine Jahrzehnte an Erfahrung merkt man im Endprodukt. Er ist ein Urgestein des Black Metals und seit Anfang an dabei. Auch wenn er aus Deutschland ist und einiges älter, find ich mich oft in ihm wieder.

cover artwork Ellende EllendeWenn du heute auf dein erstes Album zurückblickst – was würdest du anders machen? Klang, Cover, Texte?

Nichts. Wenn ein Song es mal auf ein Release schafft, steh ich mein Leben lang dazu. Ein Album ist Ausdruck eines Zeitabschnitts. Und ich kann nach wie vor hinter allem stehen, was ich gemacht habe. Auch wenn ich manches jetzt vielleicht subtiler und reflektierter formulieren würde, hat mein 20-Jähriges Ich seine Punkte gemacht und seine Daseinsberechtigung bewiesen.

Ellende wirkt oft wie ein Ventil für emotionale Extreme: Wut, Schmerz, Sehnsucht. Wie sehr beeinflussen emotionale Zustände deine Musik, beim Schreiben und beim Performen?

Der Frust oder Schmerz bezieht sich nicht nur auf mich. Das ist Ausdruck unserer Zeit und Gesellschaft. Auch wenn manche Songs sehr persönlich sind, wird das oft falsch verstanden. Ich bin trotz allem ein zufriedener, positiver und offener Mensch. Fühlt sich zumindest so an und sagen die, die mich gut kennen.
Bei der kommenden Veröffentlichung war ich aber stellenweise sehr emotional. Ich musste beim Schreiben öfter abbrechen. Manche Passagen handeln vom Tod meines Bruders. Diese Songs werden wir live wahrscheinlich nicht spielen. Das wär mir zu viel.
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Photo Credit: Anne C. Swallow.

Deine Live-Auftritte gelten als intensiv und atmosphärisch.
Welche Bedeutung hat die Bühne für dich? Musst du dich in einen bestimmten Zustand versetzen oder passiert das ganz natürlich?

Das passiert, sobald ich mein Knochenhemd und Corpsepaint trage. Das ist ein Teil von mir, den ich da ausleben kann. Ohne dieses „Ritual“ könnte ich nicht als Ellende auftreten. Für mich ist das keine Verkleidung, sondern das Gegenteil.

Ellende wird live oft als Kollektiv von befreundeten Musikern wahrgenommen.
Wie sind diese Verbindungen entstanden? Und wie beeinflusst diese Freundschaft die Musik?

Das ist mir sehr wichtig. Ab einer gewissen Bandgröße geht es nicht mehr, dass immer 100 Prozent dieselben Leute spielen, eh klar. Aber zum Großteil ist die Besetzung wie vor 13 Jahren. Auch neue Session-Mitglieder sind gute Freunde. Und das ist schön.

Gibt es Bands, Künstlerinnen oder auch Autorinnen, mit denen du dich musikalisch oder ideell besonders verbunden fühlst?

Ja, viele. Aber je älter ich werde, desto mehr löse ich mich von alten Einflüssen. Und sehe das große Talent und die Entschlossenheit im direkten Umfeld. Nekrodeus, Black Yen, Firtan. Nur als kleiner Ausschnitt.

Dein letztes Album ist noch frisch, aber die Fans wünschen sich natürlich Nachschub. Gibt es schon Pläne oder Ideen für das nächste Werk?

Ja.

Wo siehst du Ellende in ein paar Jahren?
Gibt es Visionen oder konkrete Ziele, die du dir gesetzt hast?

Für die nächsten zwei Jahre ist vieles schon durchgeplant. Auf meiner Bucketlist steht jedenfalls noch eine US-Tour. Wir waren schon knapp davor, aber es wird immer schwieriger. Visakosten, Planung, monatelange Prozeduren, Unsicherheit. Man hängt von vielen Personen und internationalen Stellen ab. Und trägt ein großes finanzielles Risiko. Das müsste ich wieder allein stemmen. Ich geb mein Bestes.

Gab es bisher Themen oder musikalische Richtungen, die du bewusst vermieden hast, die dich aber reizen würden?

Fällt mir nichts ein. Außer Musik, die offen politische Propaganda verbreitet. Die reizt mich aber auch nicht. Was mich auch nie interessiert hat, sind diese sogenannten Schlagermetal-Bands, bei denen’s eher um Show als um Musik geht. Auf der anderen Seite stört mich das nicht wirklich. Sie bedienen halt einen Markt.

Zum Abschluss: Gibt es etwas, das du unseren Leser*innen mitgeben möchtest? Die letzten Worte gehören dir.

In dem Sinne: Leben und leben lassen. Danke für die Kontaktaufnahme mit Ellende. Alles Gute an euch und die Leser*innen. Bis bald.
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Foto Quelle: ellende.at

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