Tiyris – Interview

Interview: Tiyris / Fotos: Aaron Magotti, @ctrespando

Giuseppe Taormina, auch bekannt unter seinem Künstlernamen Tiyris, ist zu einem der bekanntesten und vielseitigsten Gitarristen seiner Generation geworden. In Palermo geboren und heute in Österreich ansässig, hat er sich souverän durch eine ungewöhnlich breite Palette an Stilen bewegt – vom Thrash von Xenos über die symphonische Wucht von Crystal Viper und Crimson Wind bis hin zu den atmosphärischen Tiefen von Ellende und der scharfkantigen, schwarzmetallischen Energie von Tryglav. Ob live oder im Studio: Sein Spiel verbindet technische Präzision mit einer natürlichen Leichtigkeit, die nur aus echter Leidenschaft entstehen kann. Frisch zurück von einer Europatour mit Tryglav haben wir uns mit Giuseppe zusammengesetzt, um über Kreativität, Identität, die österreichische Metal-Community, seine vielen musikalischen Wege und die Zukunft zu sprechen, die er sich auf und jenseits der Bühne vorstellt.

Hallo Giuseppe, wie geht es dir? Du bist gerade von der Tryglav-Tour zurückgekehrt, und besonders das Wiener Konzert hat einen starken Eindruck hinterlassen. Wie war die Tour insgesamt – sowohl auf der Bühne als auch hinter den Kulissen?

Tiyris: Alles gut bei mir, danke – ich packe gerade das Equipment aus und bereite mich schon auf die nächste Runde vor. Die Tryglav-Tour war großartig. Es war unsere erste Headliner-Tour, und ehrlich gesagt hätten wir uns kein besseres Ergebnis wünschen können. Mit den Jungs unterwegs zu sein, ist immer eine fantastische Erfahrung – hinter den Kulissen viel Spaß, und sobald wir die Bühne betreten, sehr professionell.

Viele Leute sind extra aus dem Ausland angereist, nur um uns zu sehen, was uns unglaublich stolz gemacht hat. Außerdem hatten wir das Glück, großartige Supportbands dabeizuhaben, darunter Armaroth, die Band unseres Drum-Techs Nikita. Alle unsere Abenteuer kann man auf dem YouTube-Kanal von Boris T. verfolgen.

Du lebst nun schon seit einiger Zeit in Österreich. Wie ist ein Italiener aus Palermo hierhergekommen, und wie fühlt es sich für dich heute an, in Österreich zu leben?

Palermo ist eine wunderschöne Stadt, aber leider ist es dort sehr schwierig, als Musiker seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, besonders im Rock- und Metal-Bereich. Es gibt viele großartige Bands und leidenschaftliche Menschen, die versuchen, die Szene am Leben zu halten (wie meine Freunde von VoV), aber es ist immer ein Kampf.

Italien insgesamt ist nicht besonders metalfreundlich, und meiner Erfahrung nach wäre es dort fast unmöglich gewesen, meine Träume vollständig zu verfolgen.

Österreich hingegen ist ein florierender Ort für Metal. Es gibt viele starke Bands, die ihre Musik in die ganze Welt tragen, und ich spüre hier wirklich ein Gefühl gegenseitiger Unterstützung innerhalb der Szene. Ich bin jetzt seit etwa fünf Jahren hier, und in den letzten zwei oder drei Jahren bin ich wirklich Teil der Szene geworden.

Dazu kommt, dass Österreich eine großartige logistische Basis ist, genau in der Mitte Europas, was Tourneen, Proben und Festivals deutlich erleichtert. Es fühlt sich gut an, in einem Land zu leben, das Metal-Musik schätzt und hart arbeitende Musiker unterstützt.

Tiyris
Photo Credit: Aaron Magotti

Graz – und Österreich allgemein – hat eine sehr lebendige, offene und überraschend vielfältige Metal-Community, besonders im Black Metal. Wie hast du deinen Platz in dieser Szene gefunden? Fühlst du dich hier zuhause?

Mein erster wirklicher Schritt in die österreichische Szene war letztes Jahr meine Tätigkeit als Session-Musiker für Mysterium Xarxes. Diese Erfahrung hat mich direkt ins Zentrum der Szene geführt. Ich habe zusammen mit Paul von Ellende gespielt, und von dort aus haben sich die Dinge ganz natürlich entwickelt, was schließlich dazu führte, dass ich einer der wichtigsten österreichischen Bands beigetreten bin – einer Band, von der ich seit Jahren ein großer Fan war.

Die Szene fühlt sich frisch und inspirierend an. Vielleicht bin ich noch nicht lange genug hier, um sie völlig objektiv beurteilen zu können, aber meine bisherigen Erfahrungen waren sehr positiv.

Du warst musikalisch lange extrem aktiv – Xenos, Crystal Viper und zahlreiche Kollaborationen. Jetzt, da Xenos hinter dir liegt und sich Crystal Viper aufgelöst haben, wirkt das Leben im Vergleich ein wenig „leer“, auch wenn du mit Tryglav und Ellende tourst? Oder hast du einfach deine Prioritäten verlagert?

Seit Crystal Viper aufgehört haben, bin ich definitiv weniger unterwegs, aber das heißt nicht, dass ich insgesamt weniger mache. Neue Dinge sind immer in Arbeit, und ich bin ständig auf der Suche nach neuen Kollaborationen. Natürlich würde ich am liebsten jeden einzelnen Tag des Jahres ein Konzert spielen. Aber wenn ich nicht auf der Bühne oder im Studio bin, übe ich mein Instrument.

Ist Sirrush noch aktiv? Und hast du neue Projekte oder Zusammenarbeiten in Planung – irgendetwas, das du im Moment schon verraten kannst?

Ja – Sirrush ist noch aktiv. Wir arbeiten derzeit an einem neuen Album. Die Band ist zwischen Nord- und Süditalien sowie Österreich verteilt, was den Schreibprozess langsamer macht, aber es gibt keinen Zeitdruck. Unser Ziel ist es einfach, das bestmögliche Album zu machen.

Was andere Projekte betrifft, gibt es definitiv neue Dinge in Arbeit, aber darüber kann ich noch nichts sagen. Vielleicht gibt es ja schon Neuigkeiten, wenn dieses Interview veröffentlicht wird.

Über all deine musikalischen Wege hinweg – Power Metal, Symphonic Metal, Heavy und Thrash, Death Metal, Black Metal – ist eines immer sichtbar: eine fast ansteckende Leidenschaft fürs Gitarrenspiel. Ist Leidenschaft wirklich der Kern von allem, was du tust?

Absolut. Die Gitarre ist eine Erweiterung meines Wesens, ich verbringe den größten Teil meines Lebens mit einer Gitarre in der Hand. Es ist eine gnadenlose, bedingungslose Liebe.

Ohne Leidenschaft kann man in dieser Welt einfach nicht überleben. Das Musikgeschäft ist extrem hart, und es gibt viel mehr schlechte als gute Zeiten. Leidenschaft ist das Einzige, was die Flamme am Brennen hält.

Giuseppe Taormina
Photo Credit: Aaron Magotti

Wie hast du dich ursprünglich in die Gitarre verliebt? Gab es einen bestimmten Moment, der alles verändert hat – ein Konzert, ein Album, einen Song?

Das passierte, als ich etwa zehn Jahre alt war. Ich fand eine Led-Zeppelin-Platte und war sofort vom Cover fasziniert – diese vier langhaarigen Typen in Astronautenanzügen. Als ich die Platte auflegte und den ersten Riff von „Good Times Bad Times“ hörte, gab es kein Zurück mehr.

Später sah ich „The Song Remains the Same“ und erlebte, was wie vier Götter auf der Bühne aussah. Einer von ihnen, in einem Drachenkostüm und mit einer Doppelhalsgitarre, hat mich komplett umgehauen.

In diesem Moment wusste ich: Das ist es, was ich werden will. Jimmy Page ist seitdem mein Nordstern.

Du hast fast jede Spielart des Metal gespielt. Welcher Stil steht dir emotional am nächsten? Welcher macht dir am meisten Spaß zu spielen? Und welcher ist der anspruchsvollste?

Ich habe fast jedes Genre gespielt, nicht nur Metal. Meine erste Liebe waren Hard Rock der 70er und 80er, dann Glam und klassischer Heavy Metal. Blues liegt mir ebenfalls sehr am Herzen – das sind die Stile, in denen ich mich am meisten zuhause fühle.

Am befriedigendsten zu spielen? Wahrscheinlich Funk-Rock-Metal à la Extreme und melodischer Black Metal. Sehr unterschiedliche Welten, aber ich liebe beide.

Am herausforderndsten ist definitiv, wenn man eine Stunde lang Sechzehntel-Tremolo-Picking bei 240 BPM halten muss und dabei so aussehen soll, als hätte man die beste Zeit seines Lebens.

Du tourst viel mit sehr unterschiedlichen Bands – von Ellendes atmosphärischer Melancholie bis zu Tryglavs direkter, riffgetriebener Aggression. Wie passt du dein Spiel und deine Bühnenpräsenz an die jeweilige Bandpersönlichkeit an?

Ich tauche vollständig in die Musik ein. Mein Körper reagiert ganz natürlich auf das, was ich spiele, und es ist wichtig, in die richtige geistige Haltung zu kommen, um das auf der Bühne auszudrücken.

Einige Bewegungen mögen ähnlich sein, aber wenn man meine Auftritte mit Crystal Viper, Tryglav und Ellende vergleicht, sieht es fast so aus, als wären es unterschiedliche Gitarristen. Es geht darum, den Charakter der Musik vollständig anzunehmen – ein bisschen wie bei Bowie.

Du hast auf großen Festivalbühnen ebenso gespielt wie in winzigen Clubs. Welche dieser Bühnen bringt die beste Version von dir als Musiker hervor?

Beide. Ich gebe immer 100 %, unabhängig von der Größe der Bühne. Natürlich ist es cool, wenn die Bühne groß genug ist, das hängt auch vom Kontext ab, in dem ich spiele – aber manchmal mag ich es einfach, viel herumzurennen und zu springen!

Viele Musiker benutzen live mehrere Gitarren. Haben deine Gitarren unterschiedliche „Rollen“ – eine für Aggression, eine für Melodie, eine für Komfort? Gibt es eine Gitarre, die sich wie eine Verlängerung deines Körpers anfühlt?

Im Studio ja. Unterschiedliche Gitarren für unterschiedliche Zwecke. Live bleibe ich meistens bei einer Hauptgitarre und einer Ersatzgitarre. Da ich viele Genres spiele, mag ich Instrumente, die ein breites Spektrum abdecken können. Ich bin nicht an ein bestimmtes Modell gebunden, sondern an das Instrument selbst.

Broken 24Deine Arbeit unter dem Namen Tiyris, „Broken 24“, hat eine ambientartige und melodische Note, die an Christopher Amotts spätere Soloarbeiten erinnert. Wer sind deine wirklichen Gitarrenidole – sowohl im Metal als auch außerhalb davon?

Jimmy Page ist mein größtes Idol. Darüber hinaus: Richie Kotzen, Nuno Bettencourt, Stevie Ray Vaughan, Eddie Van Halen, Randy Rhoads, Andrew Latimer, Andy Timmons, Marty Friedman und Jason Becker.

Auf den Xenos-A.D.-Alben wurdest du auch für Growl-Vocals genannt. Singst du gern – schließlich bist du Italiener, statistisch gesehen müsstest du es lieben. Planst du, in zukünftigen Projekten selbst zum Mikrofon zu greifen?

Ehrlich? Nein, ich hasse es. Aber manchmal muss es eben jemand machen.

Du unterrichtest auch Gitarre. Wie erfüllend ist dieser Teil deines Lebens? Wie sind deine Schüler? Glaubst du insgeheim, dass sich der nächste Jimi Hendrix unter ihnen versteckt?

Sehr erfüllend. Meine Schüler sind großartig, und ich lerne auch viel von ihnen – das ist unglaublich inspirierend. Die meisten wollen Metal spielen, aber andere interessieren sich für Funk, Jazz, Blues oder ausschließlich für Harmonie und Musiktheorie.

Ich bin mir sicher, dass man von einigen von ihnen in Zukunft noch hören wird!

Hast du andere Instrumente gespielt, bevor die Gitarre zu deiner wichtigsten Ausdrucksform wurde? Österreich – ähnlich wie Italien – ist stark in der klassischen Musik verwurzelt. Interessierst du dich selbst für klassische Musik? Hast du Gitarre formal studiert oder bist du Autodidakt?

Ich habe direkt mit der Gitarre angefangen. Ich liebe klassische Musik, besonders Paganini, Tschaikowsky und Vivaldi, mit denen ich mich auch intensiv beschäftigt habe.
Ich habe in Palermo bei Vittorio Falanga studiert, einem der besten Gitarristen, die ich je gehört habe. Ich bin ihm extrem dankbar, er hat mich wirklich auf den richtigen Weg gebracht. Ich habe einen Abschluss in moderner Gitarre gemacht und auch am Konservatorium studiert.

Auf der Bühne gehörst du zu den Musikern, bei denen alles fast verdächtig mühelos aussieht. Wie viel Probenarbeit steckt tatsächlich hinter diesem Eindruck – oder ist es für dich wirklich so leicht?

Danke, aber nein! Dahinter steckt sehr viel Arbeit. Ich übe ständig. Der Weg nach oben ist lang.

Ph- @ctrespando
Photo Credit: @ctrespando

Gibt es im Metal etwas, das du nach wie vor als wirklich schwierig empfindest?

Extreme Ausdauer, würde ich sagen. Präzision, Geschwindigkeit und Intensität bei sehr hohen Tempos über lange Sets hinweg zu halten – und dabei trotzdem natürlich zu wirken und über die Bühne zu springen. Es wird nie wirklich leicht.

Wenn du einen Song mit irgendeiner Band oder einem Musiker spielen könntest, lebend oder verstorben – wen würdest du wählen und warum?

Randy Rhoads. Er war seiner Zeit so weit voraus. Ich würde gern seine musikalische Vision erleben und von seinem Ansatz lernen. Ich wünschte wirklich, er wäre noch hier.

Wenn du dein eigenes ideales Festival kuratieren könntest: Welche Bands würden headlinen? Und wo würdest du dich selbst sehen – auf der Bühne oder im Publikum, mit einem Bier in der Hand?

Es wäre völlig falsch – viel zu viele unterschiedliche Stile. Ich müsste Bands wie Radiohead, Megadeth, Nine Inch Nails und Rotting Christ auf dasselbe Billing setzen … das würde niemals funktionieren!
Ich würde als Opener spielen, damit ich danach den Rest der Bands aus dem Publikum genießen kann.

Eine letzte Frage. Du hast in zwei sehr unterschiedlichen Metal-Kulturen gelebt – der italienischen und der österreichischen. Wo siehst du die größten Unterschiede zwischen den beiden Szenen, musikalisch wie auch sozial?

In Österreich gibt es deutlich mehr Zusammenhalt, und Metal ist stärker in die Kultur integriert. In Italien ist die Szene fragmentierter, Bands unterstützen sich nicht immer gegenseitig, und Metal ist gesellschaftlich noch immer ein Stück weit stigmatisiert.
Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass sich langsam etwas verändert, besonders in der südlichen Szene. Ich hoffe sehr, dass sich das weiter in diese Richtung entwickelt.

Und zum Schluss: Die letzten Worte gehören dir – möchtest du noch etwas hinzufügen, teilen oder loswerden?

Danke für das Gespräch, es war mir eine Freude! An alle Leser: Ich werde im Januar mit Ellende quer durch Europa touren, und weitere Tryglav-Termine stehen ebenfalls an. Holt euch ein Ticket und sagt Hallo!

Tiyris – Interview

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