Die deutsche Post-Metal-Band HERETOIR präsentiert mit Solastalgia ihr neues Studioalbum – und markiert damit zugleich einen deutlichen Bruch mit dem bisherigen Sound: weniger Metal, mehr Emotionen, eine klare Hinwendung zum Mainstream und in Richtung kommerzieller Ausrichtung.
Komplexer, atmosphärischer Stil
Dynamisch und mit dichtem Klang eröffnet „The Ashen Falls“ das Album – getragen von einer melancholischen Melodielinie, dazu Vocals mit einem leichten Metalcore-Einschlag. Ein kraftvoller Auftakt, der Elemente aus Death und Melodic Death Metal mit modernem Metal verbindet, überzogen vom unverkennbaren post-metallischen Gefühl von Verzweiflung und Depression. Komplexe Musik, voll von Atmosphäre.
HERETOIRs Stil war schon immer schwer zu beschreiben. Die Band lässt sich nicht in eine Schublade pressen, bringt stets neue Einflüsse ein, sorgt für Wendungen und Überraschungen. Im Mittelpunkt stehen jedoch fast immer die dramatischen, leidenden Vocals, die der Musik eine klare Richtung geben. So auch in „Season of Grief“: Der Song beginnt deutlich langsamer, mit akustischen Gitarren und cleanem Gesang. Ein moderner Klang, nicht sehr metallisch, auch wenn aggressive Passagen auftauchen. Die fast zehn Minuten lange Komposition ist verschachtelt und voller Brüche – gute Momente wechseln sich mit rein ambienten Passagen ab. Ein komplexes Stück, das HERETOIRs Handschrift trägt – mit all den Brüchen und Wendungen letztlich aber überzeugend. Ein Höhepunkt des Albums.
Aggressive und melancholische Elemente
HERETOIR stammen aus Augsburg und wurden 2006 als Soloprojekt von David Conrad (ehemals Eklatanz, Vocals und Gitarre) gegründet. Mit der Zeit entwickelte sich daraus eine vollwertige Band, die inzwischen von Matthias Settele (ehemals Nathanael, Gitarre, Bass, Flöte, Hirschknochen, zusätzliche Vocals) und Nils Groth (Drums, zusätzliche Vocals) komplettiert wird. Dieses Kerntrio zeichnet für die Aufnahmen von Solastalgia verantwortlich. Weitere Mitglieder sind Kevin Storm (Gitarre) und Stefan Dietz (ebenfalls Gitarre), die auf diesem Album allerdings nicht mitgewirkt haben.
Das Spiel mit den Genres setzt sich in „You Are the Night“ fort: aggressiv, direkt, mit Growls und Clean Vocals. „Inertia“ dagegen ist melancholischer, getragen von einer langen, melodischen Leadgitarre, verzweifelten, schreienden Vocals und Breaks, die das Ganze in Richtung Metalcore schieben. „Rain“ fungiert als Interlude auf Piano/Keyboards – sehr melodisch und atmosphärisch.
„Dreamgatherer“ greift die Akkorde von „Rain“ auf und entwickelt sie weiter zu dynamischeren Varianten. Echoartige Vocals wechseln mit Schreien voller Pathos und Leid. Das Drumming ist solide, die Instrumentierung wirkt jedoch stellenweise unscharf. Tempowechsel, leichte Passagen und noisige Ausbrüche ergeben ein Rezept, das man von der Band kennt. Ein guter Sound, aber kein herausragender Song – das Album beginnt hier an Substanz zu verlieren.
Zwischen Pop-Rock und Metal
Deutlich stilistisch festgelegt ist „The Heart of December“ – allerdings als reiner Pop-Rock-Song, komplett ohne metallische Elemente. Eine melancholische, emotionale Melodielinie, gesungen mit cleanen Vocals, wirkt auf einem Metal-Album deplatziert. Auch späte Screams können diesen Fremdkörper nicht retten. „Burial“ kehrt zwar zu Screams und schwererer Instrumentierung zurück, verliert sich aber bald wieder in traurigen, emotionalen Linien – mehr ein Füllstück.
Die Produktion ist klar und sehr modern – vielleicht etwas zu glatt poliert. Damit wird die Hinwendung zu einem weniger metallischen, mehr pop-rock-orientierten Sound unterstrichen. Die Vocals stehen wie immer im Zentrum, während Instrumente zurücktreten, selbst in den härteren Passagen. Dennoch gibt es gut platzierte Solos, solide Drums vor allem im ersten Teil des Albums, wenig präsenten Bass und Keyboards, die hauptsächlich für atmosphärische Flächen eingesetzt werden.
Mangel an musikalischer Geschlossenheit
Mit über einer Stunde Spielzeit wirkt das Album am Ende zu lang. Füllmaterial, das nichts Neues bringt, zieht sich durch die zweite Hälfte. Der Titeltrack „Solastalgia“ beginnt akustisch, setzt die bereits bekannte Stimmung fort: Wechsel zwischen balladesken Passagen und Screams mit treibendem Drumming. Doch ohne Gitarrenunterstützung wirkt das Finale seltsam unausgewogen – bloße Wut und Aggression. Ein spätes, fast tremoliertes Leadgitarrensolo bringt Melancholie ins Spiel, kommt aber zu spät, um den Gesamteindruck zu drehen.
Die Texte gehören zum Stärksten des Albums. HERETOIR erklären: „Solastalgia beschreibt die Trauer über den Verlust der Natur.“ Entfremdung von der Erde, Umweltprobleme, persönliche Gefühle und die Herausforderungen der Moderne werden hier verarbeitet.
„The Same Hell MMXXV“ ist eine weitere Ballade, sehr langsam, ohne jede metallische Note – erneut kitschig und unpassend. Zum Abschluss gibt es ein Cover von In Flames’ „Metaphor“ (Reroute to Remain). Schon im Original kein Glanzstück, wird hier sämtlicher Metal entfernt, übrig bleibt die Melodielinie auf Akustikgitarren. Es passt zur Grundstimmung der letzten Songs, ist aber kein Gewinn – weder für den Song noch für das Album. Ein enttäuschender Abschluss.
”Solastalgia” bleibt hinter der Songwriting-Qualität früherer Werke zurück
Black Metal ist das längst nicht mehr – auch die offizielle Selbstbeschreibung der Band vermeidet mittlerweile den Begriff. Früher sprach man von Depressive Black Metal oder Blackgaze, heute trifft Post Rock oder Modern Metal die Sache eher. Genreschubladen sind zwar nebensächlich, doch das Gefühl bleibt: HERETOIRs Solastalgia gehört nicht mehr wirklich in den Metal-Bereich. Zu kitschig, bewusst eingängig, melodisch überladen und emotional – aber ohne die nötige Songwriting-Substanz.
Charakteristisch bleibt der Kontrast: aggressives, massives Metal-Fundament trifft auf melodischen, clean gesungenen Parts – HERETOIRs Markenzeichen. Doch während die erste Hälfte des Albums diese Spannung noch trägt, verliert sich die zweite Hälfte fast völlig in Balladen. Ohne Druck, ohne Dynamik, nur noch gefühlsschwere Songs. Wäre das Album allein aus den ersten sechs Stücken gebaut, bliebe ein anderes Bild – so bleibt der Eindruck von viel Füllmaterial.
Fazit: Solastalgia zeigt HERETOIR zwischen Post Rock und Pop – atmosphärisch, aber enttäuschend schwach im Songwriting.
P.S.: Nicht vergessen – DER WEG EINER FREIHEIT live am 23. September 2025 im Rockhouse Bar, Salzburg, und am 24. September 2025 in der Szene Wien! HERETOIR sind als Support dabei.
Tracklist
01. The Ashen Falls
02. Season of Grief
03. You Are the Night
04. Inertia
05. Rain
06. Dreamgatherer
07. The Heart of December
08. Burial
09. Solastalgia
10. The Same Hell MMXXV
11. Metaphor (In Flames cover)
Besetzung
David Conrad – Vocals und Gitarre
Matthias Settele – Gitarre, Bass, Flöte, Hirschknochen, zusätzliche Vocals
Nils Groth – Drums, zusätzliche Vocals